Bibeltexte neu übersetzen: Eine Stimme im Chor
Es gibt viele Übersetzungen. Das ist gut, denn keine Übersetzung kann den Bedeutungsreichtum der Texte voll wiedergeben. Diesem Chor der Übersetzungen wollen wie eine – leise – Stimme hinzufügen, die ihre besondere Klangfarbe gemeinsam mit anderen hören lässt. Wir sind überzeugt, dass die Texte der Bibel uns immer noch etwas Neues zu sagen haben. Wir sehen sie als Glaubenszeugnisse, auf die sich auch unser Glaube stützt.
Jeder Musiker interpretiert das Stück, das er spielt – auch bei größter Werktreue. Ebenso ist beim Übersetzen Interpretation unvermeidlich. In jedem Text schwingt ein großer Reichtum an Anspielungen und sprachlichen Zusammenhängen mit, der sich nicht vollständig übersetzen lässt. Darüber sind wir uns im Klaren. Deshalb suchen wir bei unserer Übersetzung nach Worten, die möglichst viel von diesem Reichtum anklingen lassen – auch und gerade im Konzert mit anderen Übersetzungen.
Bibeltexte neu übersetzen: Eine Schatzsuche
Die Beschäftigung mit den hebräischen und griechischen Texten ist für uns immer wieder eine Reise voller Überraschungen. Auch wenn wir zunächst meinen, uns auf wohlbekanntem Gelände zu bewegen, machen wir unerwartete Entdeckungen (Wortbedeutungen, Sprachstil, Metaphorik ...). Diese Entdeckungen möchten wir in unseren Übersetzungen sichtbar machen. Dabei rücken wir ungewöhnliche Aspekte in den Blickpunkt, auch auf die Gefahr hin, dass andere, die sonst im Vordergrund stehen, weniger auffallen. Wir hoffen, gerade dadurch bestehende Übersetzungen sinnvoll zu ergänzen.
Da wir einzelne Textabschnitte übersetzen (und nicht ganze biblische Bücher), gehen wir im Wesentlichen von der Einzelstelle aus. Wir versuchen, den Kontext angemessen zu berücksichtigen, entscheiden uns aber unter Umständen z.B. für einen Wortgebrauch, der sich im größeren Textzusammenhang nicht durchhalten ließe.
Bibeltexte neu übersetzen: Schatztruhen öffnen
In den bewährten Bibelübersetzungen findet man bekannte Schätze, „große Wörter“ (z.B. Geist, Wort, Gnade). Diese Schätze sind auch uns kostbar, kommen uns aber oft vor wie verschlossene Truhen, angefüllt mit den vielfältigen Schichten der Sprachentwicklung, mit dem Gewicht theologischer Auseinandersetzungen und mit den Schätzen der Glaubensgeschichte unzähliger Menschen. Wir versuchen, solche Schatztruhen mit ungewohnten Übersetzungen zu öffnen. Dabei erweisen sich die – oft ganz konkreten – Grundbedeutungen als hilfreich (z.B. pneuma – Wind). Wir wollen die bekannten Begriffe damit nicht verdrängen oder verdecken, sondern im Gegenteil die Aufmerksamkeit auf ihre Bedeutungsvielfalt lenken (z.B. bei charis). Andere Schätze sind sprachliche Bilder in den Texte und Wörtern (z.B. bei brabeuō). Diese sind uns teilweise fremd. Wenn wir sie in unserer Übersetzung sichtbar machen, dann macht das die Texte unter Umständen sperriger, aber nicht weniger reizvoll.
Die verschiedenen Gottesbezeichnungen sind ein Schatz, für den es in der deutschen Sprache leider keine wirklich angemessene Übersetzung gibt. Gott hat in der hebräischen Bibel einen Eigennamen, dessen Aussprache nicht mehr sicher bekannt ist. Der Name zeigt: Gott ist nicht nur ein philosophisches Konstrukt, sondern ermöglicht eine persönliche Beziehung. Diese Beziehung betonen wir, wenn wir den Namen mit °unser Gott° umschreiben (siehe auch: Gottesname). Wenn die hebräische Sprache in demselben Text verschiedene Wörter für Gott verwendet (z.B. el und elohim), ahmen wir dies oft mit einem Wechsel der Wörter Gott und Gottheit nach.
Bibeltexte neu übersetzen: Schlaglöcher und Prachtstraßen
Die biblischen Texte haben keinen einheitlichen Sprachstil: Sie können holprig oder poetisch sein, schlichte Alltagssprache kommt ebenso vor wie anspruchsvolle Konstruktionen. Es ist uns wichtig, diese Vielfalt auch in den Übersetzungen so weit wie möglich zu erhalten. Gleichzeitig streben wir eine Sprache an, die für eine gesprochene Verwendung – auch in Gottesdiensten – geeignet ist. Unser Ziel sind also lesbare Texte, die manchmal stolpern lassen, manchmal schreiten.
Fast alle Übersetzungen verwenden in unterschiedlichem Umfang inklusive Sprache. Wir rechnen damit, dass die biblischen Texte aus kulturellen Zusammenhängen stammen, die von männlichen Perspektiven bestimmt waren. Diese Tendenz wollen wir jedoch nicht noch verstärken, indem wir unnötig Wörter verwenden, die im Deutschen nur Männer in den Blick nehmen. Wenn wir es für wahrscheinlich halten, dass eine männliche Formulierung Männer und Frauen meint, suchen wir nach Wörtern, die dafür offen sind (z.B. adelphoi – meist „Geschwister“ statt „Brüder“, beides ist im Griechischen möglich). Nur im Ausnahmefall ergänzen wir einen weiblichen Begriff. Wir wollen weder Texten die Anstößigkeit nehmen, noch verdecken, dass auch die Bibel an einigen Stellen bereits ausdrücklich inklusive Sprache verwendet.
Bibeltexte neu übersetzen: Gemeinsam auf dem Weg
Beim Übersetzen stoßen wir an Grenzen in unserem Textverständnis, in der Vereinbarkeit unterschiedlicher Übersetzungsanliegen und in unserer Fähigkeit, sie umzusetzen. Auch bei aller Sorgfalt machen wir Fehler. Unsere Übersetzungen verstehen wir deshalb als Vorschläge. Wir hoffen, dass sich manches im Gebrauch bewährt und manches weiterentwickelt. Daher freuen wir uns, wenn unsere Texte benutzt und bearbeitet werden. Um dies zu ermöglichen, haben wir unsere Texte unter eine Lizenz gestellt, die auf dem Gedanken eines freien Austauschs von Ideen und Texten beruht (siehe: Copyleft).
Wir sind angewiesen auf das Gespräch mit anderen, die sich um ein angemessenes Verständnis der Bibel bemühen. Jede Kritik, die diesem Ziel verpflichtet ist, ist uns willkommen.
Das Wort des Christus wohne vornehm unter euch: Unterweist und verbessert einander einsichtsvoll, singt begnadet Psalmen, Loblieder und geistvolle Gesänge mit eurem ganzen Herzen für Gott. Und alles, was auch immer ihr tut mit Worten oder mit Taten, das alles tut im Namen des Herrn Jesus, und dankt so Gott, dem Vater, durch ihn.
(Kolosserbrief 3,16–17)
Barbara Wischhöfer und Olaf Schmidt-Wischhöfer, 2007
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