Das „4. Gottesknechtslied“ ist einer der bekanntesten Texte des Jesaja-Buchs. Für die ersten Christen erhielt dieser Text eine besondere Bedeutung, weil sie in ihm eine wichtige Deutung fanden von Jesu Leben, Tod und Auferstehung: In Jesus Christus nimmt Gott das Leiden dieser Welt auf sich, er heilt uns, und er trägt unsere Schuld, damit sie nicht auf uns zurückfällt. Im Neuen Testament gibt es darum zahlreiche Zitate und Anspielungen (siehe Fußnoten).
Es lässt sich nicht eindeutig klären, aus welcher historischen Situation die Gottesknechtslieder kommen und wie sie damals verstanden wurden – vielleicht als Rückschau auf das Leben eines Propheten, vielleicht auch als Gleichnis für die Geschichte des Volkes Israel.
13 Siehe: Zum Ziel wird er kommen, er, der mir dient,
groß wird er sein, geehrt und hoch erhaben.
14 So viele Menschen einst erstarrten, entsetzt über dich,
– so entstellt war sein Aussehen, seine Gestalt,
unter allen Menschenkindern –
15 so sehr bringt er viele Völker in Aufruhr,
voller Entsetzen schließen Könige ihren Mund.
Denn was ihnen nicht erzählt worden ist – sie haben es gesehen,
und was sie nicht gehört haben – sie haben es verstanden. [1]
53.1 Wer hat dem Glauben geschenkt, was wir gehört haben, [2]
und wem hat °unser Gott° seine Macht enthüllt?
2 Er trieb aus wie ein junger Spross vor seinen Augen,
wie eine Wurzel aus trockenem Land. [3]
Denn er hatte keine Gestalt und keinen Schmuck, dass wir ihn angesehen hätten,
und kein Aussehen, dass er uns gefallen hätte:
3 Ein Verachteter, von den Leuten getrennt,
ein Mann von Schmerzen, der Krankheit vertraut,
wie jemand, vor dem man das Gesicht verhüllt,
ein Verachteter. Geringgeschätzt haben wir ihn.
4 Es ist wahr: unsere Krankheiten hat er uns abgenommen
und unsere Schmerzen hat er getragen. [4]
Wir, wir hielten ihn für geschlagen,
für von Gott getroffen und gedemütigt.
5 Er, er ist durchbohrt wegen unseres Unrechts,
zerstört wegen unserer Vergehen.
Damit wir wieder ins Lot kommen, traf ihn unsere Züchtigung,
an seinen Wunden wurde er für uns geheilt. [5]
6 Wir alle, wir irrten wie Vieh umher, [6]
jeder ging seinen eigenen Weg.
Ihn traf, was wir alle verschuldet haben,
nach dem Willen °unseres Gottes°.
7 Er wurde misshandelt, und er, er ließ sich demütigen,
und er öffnete seinen Mund nicht,
wie das Schaf, wenn es zum Schlachten gebracht wird,
und wie ein Mutterschaf vor seinen Scherern verstummt.
Und er öffnete seinen Mund nicht.
8 Aus Gefangenschaft und Verurteilung heraus wurde er weggenommen.
Wen von seinen Zeitgenossen kümmert es,
dass er abgeschnitten wurde vom Land der Lebenden? [7]
Wegen des Unrechts meines Volkes wurde er geschlagen.
9 Dann errichtete man bei Frevlern sein Grab
und bei einem Reichen, als er starb, [8]
obwohl er keine Gewalttat verübt hatte
und kein Betrug in seinem Mund war. [9]
10 °Unser Gott° wollte seine Zerstörung, er ließ ihn krank werden.
Wenn er selbst ein Schuldopfer gestellt hätte, [10]
würde er Nachkommen sehen, er würde lange leben.
Doch was °unser Gott° will, gelingt durch seine Hand.
11 Mehr als sein innerstes Elend sieht er,
er wird satt in seinem Begreifen. [11]
Er macht gerecht: gerecht für die Vielen ist er, der mir dient
– und ihre Vergehen: Er, er trägt sie.
12 Deshalb teile ich ihm zu bei den Vielen,
und mit Mächtigen teilt er Beute,
weil er sich selbst dem Tod ausgeliefert hat
und zu den Untreuen gezählt wurde. [12]
Er, er hat den Vielen ihre Verfehlung abgenommen, [13]
und für die Untreuen bittet er dringlich. [14]
(Übersetzung: Barbara Wischhöfer und Olaf Jan Schmidt-Wischhöfer, 2008; http://amen-online.de/bibel/ )
Anmerkungen:
[1]
Zitat in Röm 15,21
[2]
Zitat in Joh 12,38 und Röm 10,16: „Wer hat dem Glauben geschenkt, was wir gehört haben?“ (über erfolglose Verkündigung)
[3]
Vergleiche Jesaja 11
[4]
Zitat in Mt 8,17: „Unsere Krankheiten hat er uns abgenommen und unsere Schmerzen hat er getragen.“ (über den heilenden Jesus)
[5]
Vom Zusammenhang her und mit leichter Änderung des hebräischen Textes deuten viele diese Stelle im Sinne vom: „durch seine Wunden wurde er für uns zur Heilung“.
Zitat in 1 Petr 2,24: „Durch seine Wunde wurdet ihr geheilt.“ (über Jesus Christus)[6]
Zitat in 1 Petr 2,25: „Ihr seid umhergeirrt wie Vieh.“
[7]
Der unklare hebräische Text lässt sich auch verstehen als: „Wer bedenkt seine Zeitgenossen? Denn er wurde abgeschnitten vom Land der Lebenden.“
Zitat in Apg 8,32–33: „Wie das Schaf, wenn es zum Schlachten gebracht wird, und wie ein Lamm vor seinem Scherer verstummt, so öffnete er seinen Mund nicht. In der Erniedrigung wurde sein Urteil weggenommen. Wer beschreibt seine Zeitgenossen? Denn sein Leben wurde weggenommen von der Erde.“[8]
Im biblischen Hebräisch gibt es ein gemeinsames Wort für arm und fromm. Eine Gleichsetzung von reich und unfromm findet sich aber sonst nicht.
Im Christentum wird dieser Vers z.T. auf Joseph von Arimathäa bezogen, den vornehmen Mann, der für Jesus seine Grabstätte zur Verfügung stellte (Mk 15,42–46).[9]
Zitat in Offb 14,5; Zitat in 1 Petr 2,22: „der keine Verfehlung verübt hatte, und bei dem kein Betrug in seinem Mund war.“ (über Jesus)
[10]
Der hebräische Text lässt sich auch übersetzen als: „Wenn du sein Leben als Schuldopfer eingesetzt hast, sieht er Nachkommen ...“. Mit leichter Änderung des hebräischen Textes deuten einige diese Stelle im Sinne vom: „Weil er sein Leben als Schuldopfer gegeben hat, sieht er Nachkommen ...“ oder „ob er sich selbst als Schuldopfer geben würde. Er sieht Nachkommen ...“.
[11]
Der hebräische Text lässt sich auch übersetzen: „Er wird satt. In seinem Begreifen macht er gerecht, der Gerechte, für die Vielen, er, der mit dient.“
[12]
Zitat in Lk 22,37: „Er wurde zu den Gesetzlosen gezählt“ (Jesus über sich selbst)
Zitat in Mk 15,28: „und zu den Verbrechern wurde er gezählt“ (über die beiden Mörder, die mit Jesus zusammen gekreuzigt wurden.)[13]
Anspielung in Mt 26,28: „Dies ist mein Blut des Bundes, vergossen für viele zur Vergebung der Verfehlungen.“ (Jesus über sich selbst)
Anspielung in 1 Petr 2,24: „Unsere Verfehlungen hat er hinaufgetragen in seinem Körper an das Holz.“ (über Jesus Christus)[14]
Anspielung in Lk 23,34: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Jesu Gebet am Kreuz)
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