Vater unser im Himmel,
der du uns mal väterlich, mal mütterlich nahe bist
in den Höhen und Tiefen unseres Lebens,
im Lachen und im Weinen,
auf den leichten und auf den beschwerlichen Wegen.
Geheiligt werde dein Name –
den wir ehren,
wenn wir deiner Wahrheit über uns Recht geben,
wenn wir den Reichtum deiner Güte
mit allen Sinnen bestaunen,
wenn wir deinen Namen verteidigen gegen
Größenwahn, Allmachtsgebahren und Unmenschlichkeit.
Dein Reich komme –
es wachse in uns und durch uns Freude und Sanftmut,
es reife erfülltes Leben auf dem Feld
unseres Herzens und deiner Welt.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel so auf Erden –
auch dann,
wenn unsere Macht viele Menschen willenlos
und ohnmächtig macht,
wenn wir nicht wie Kinder empfangen,
was du uns schenkst,
wenn wir nicht das tun,
was uns stimmig macht mit dir und mit uns selbst.
Unser tägliches Brot gib uns heute –
das Brot für Leib und Seele uns und allen Menschen:
das Brot des Friedens, das Brot guter Worte,
das Brot der Liebe.
Und vergib uns unsere Schuld –
dass wir uns immer wieder entfremden:
von dir, von unseren Ursprüngen,
von der Freiheit der Befreiten,
von der Gnade deiner bedingungslosen Liebe.
Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern –
und ohne zu rechnen die Hand zur Versöhnung reichen,
auf unseren falschen Stolz verzichten,
anderen so lange ins Gesicht schauen,
bis wir in ihnen die Schwester und den Bruder erkennen.
Und führe uns nicht in Versuchung –
uns an das Sterben unserer Hoffung zu gewöhnen,
die Angst über unser Vertrauen siegen zu lassen
und die Verzweiflung über unseren Glauben.
Sondern erlöse uns von dem Bösen –
wenn es in uns zum Gegenspieler wird,
gegen dich und gegen alles,
was uns in den weiten Raum der Freiheit stellt.
Wenn es unser Ich klein macht
und wir uns fesseln lassen in Lebenslügen
und in den Zwängen,
das wahre Leben im falschen Leben zu suchen,
wenn wir versuchen,
uns selber Leben auf Kosten des Nächsten zu nehmen.
Denn dein ist das Reich –
in unseren kleinen Anfängen hier
und in dem vollkommenen Ganzen,
auf das wir zugehen.
Und die Kraft –
in unserer Schwäche und in unserer Stärke,
in unserer Starrheit und in unserer Beweglichkeit.
Und die Herrlichkeit –
die wir jetzt schon sehen, hören, schmecken,
riechen und tastend begreifen,
und die uns einst umfangen wird.
In Ewigkeit –
in der Gültigkeit deiner Zusage,
dass nichts uns trennen kann von dir,
weder unser Stückwerk noch unsere Angst,
weder unerfüllte Sehnsucht noch nicht gelebtes Leben,
weder dunkle Mächte noch die Hölle auf Erden.
Amen.
So soll es sein.
So soll es werden.
(Helge Adolphsen, "Minutengebete", Kreuz-Verlag Stuttgart, 2000, S. 120–122)
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